Ingeborg Bachmann schrieb einmal:
„Die Geschichte lehrt permanent, aber sie findet keine Zuhörer.“
Diese Beobachtung ist aktueller denn je. Eigentlich müssten wir alles daransetzen, Konflikte zu deeskalieren – die Waffen niederzulegen und laut dagegen aufzuschreien. Stattdessen entstehen neue Feindbilder, und jede Seite sieht sich selbst als die „Gute“. Die Verhandlungstische bleiben leer. Ein politischer Gegenpol fehlt. Spätestens mit dem Scheitern der Globalisierungsbewegung in den frühen 2000er Jahren hat sich auch eine radikale Linke mit Klassenbewusstsein und Analyse aufgelöst.
Umso bemerkenswerter ist es, wenn Menschen heute unter Einsatz ihres Lebens im Mittelmeer der israelischen Armee entgegentreten.
Aufbruch und Ernüchterung
Die 1990er Jahre waren von Aufbruchstimmung geprägt. Für kurze Zeit schien eine bessere Welt möglich. Doch schon zuvor waren die Weichen anders gestellt: Gewinne sollten maximiert, Märkte globalisiert, Produktionskosten gesenkt werden.
Die Globalisierung erschloss neue Märkte und billige Arbeitskräfte weltweit. In den wohlhabenden Ländern wuchsen die materiellen Ansprüche – und sie konnten erfüllt werden. Gleichzeitig verschob sich das politische Kräftefeld: Linke Aktivist:innen wurden in staatliche Programme eingebunden. Bezahlte politische Arbeit entkoppelte sie zunehmend von realen sozialen Kämpfen. Manche erklärten sogar das „Ende der Klassengesellschaft“.
Zur selben Zeit verloren die Gewerkschaften an Einfluss. Die Zerschlagung und Auslagerung großer Betriebe schwächte ihre Basis, während der Staat seine Rolle als Vermittler zwischen Beschäftigten und Unternehmen immer weiter zurückzog. Seither befindet sich der Sozialstaat im Abbau. Und obwohl jede technische Entwicklung als Erleichterung verkauft wird, steigt der Arbeitsdruck kontinuierlich.
Hoffnung auf internationale Gerechtigkeit
1990 beauftragte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Völkerrechtskommission, die Schaffung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu prüfen. Nach langen Verhandlungen nahm der Gerichtshof 2003 in Den Haag seine Arbeit auf.
Seine zentralen Aufgaben:
- Ahndung schwerster Verbrechen: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggression.
- Schließen von Strafbarkeitslücken: Wenn nationale Gerichte nicht willens oder fähig sind, verfolgt der IStGH Einzelpersonen.
- Stärkung der Opferperspektive: Er gibt Betroffenen die Möglichkeit, ihre Stimme einzubringen und am Verfahren teilzunehmen.
Die Wurzeln dieses Projekts liegen in den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie in den Ad-hoc-Tribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. Sie bereiteten den Boden für die Idee eines ständigen Gerichts.
Krieg und Profite
Während Institutionen wie der IStGH Hoffnung auf internationale Gerechtigkeit wecken, zeigt die Realität ein anderes Bild.
Seit Beginn des Ukrainekriegs hat sich der Aktienkurs des Rüstungskonzerns Rheinmetall verzehnfacht: Am 23. Februar 2022 lag er bei 96,80 Euro – drei Jahre später bei 968 Euro. Gleichzeitig geraten Beschäftigte, die sich gegen Krieg engagieren, unter Druck. So wurde ein Verdi-Mitarbeiter am Flughafen Leipzig/Halle von seiner Arbeit bei DHL freigestellt, nachdem er auf der Demonstration „March to Airport Leipzig“ eine Rede gehalten hatte: „Kein Transport für Völkermord.“ Er bezog sich auf Kolleg:innen in Griechenland und Italien, die ähnliche Forderungen erhoben hatten.
Ein Blick von außen
Nach einem 178-tägigen Aufenthalt an Bord der ISS kehrte Astronaut Ron Garan mit einer tiefen Erkenntnis zurück: Aus dem Orbit erscheint die Erde als Einheit – eine leuchtend blaue Sphäre ohne Grenzen, ein zerbrechliches Schiff im Dunkel des Alls.
Die Erde ist unser gemeinsames Raumschiff. Jeder Mensch ist Teil der Besatzung, nicht bloßer Passagier. Unser Überleben hängt davon ab, zu erkennen: Was uns auf der Erde trennt, ist aus dem All unsichtbar.
Die Geschichte lehrt, aber wir hören nicht. Wir sehen die Katastrophen kommen und lassen sie dennoch geschehen. Vielleicht müssen wir lernen, unseren Blick zu verändern – nicht nur von oben aus dem All, sondern auch aus der Distanz zur eigenen Gegenwart.
Nur dann könnte Ingeborg Bachmanns Satz eines Tages widerlegt werden.











































































































































































